Wir sollten reden: Über eine Gemeinsame Schule für Alle.

FAKTEN (ja!), zusammengetragen von Timo Brunnbauer

 

In den letzten Jahren verstummte die Diskussion, wie die Bildungschancen von Kindern erhöht werden könnten, wie man für mehr Gerechtigkeit und bessere Startchancen ins Leben sorgen könnte. Die Pandemie hat da vieles überschattet, aber auch ganz deutlich gezeigt, dass das österreichische Schulwesen nicht zukunftsfit ist. Das Versagen der Behörde und des Ministeriums während der letzten zwei Jahre hat dies nur allzu deutlich aufgezeigt.

 

In der heimischen Tagespolitik wird seit Längerem nicht mehr über die Ausgestaltung eines fairen Schulwesens geredet. Zuletzt – noch vor dem Beginn des Coronadesasters – war es die Diskussion zur Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres. Und im Regierungsübereinkommen von Türkis-Grün stand etwas von einem Schulversuch light zur Erprobung des Sozialindexes der AK. Eine durch und durch dürftige Angelegenheit – statt jährlich 100 Millionen Euro gibt es dafür 10 Millionen an ein paar Standorten über mehrere Jahre.

 

In der Unabhängigen Gewerkschaft, also der OELI-UG, wird das Thema Gemeinsame Schule seit vielen Jahren offen und breit diskutiert. Und dabei geht es nicht um das „Ob“, sondern ausschließlich um das „Wie“. Uns ist – schultypenübergreifend – klar, dass das jetzige System der Segregation von Kindern mit neun Jahren grundfalsch ist. Es ist keine freiwillige Entscheidung der Kindern bzw. deren Eltern, wie es nach der VS weitergeht. Es ist eine Zwangsentscheidung, die die Bildungskarriere der Schüler*innen für das restliche Leben maßgeblich prägt.

 

Einfach gesagt: Wer fit genug ist (Einser und Zweier im Zeugnis der VS) geht in das Gymnasium, der Rest in die MS. Wer als Kind das Glück hat, am Land zu leben, wird dort eine Gemeinsame Schule bis 14 vorfinden, denn nur wenige fahren kilometerweit durch die Pampa um eine AHS zu besuchen. Wer in einem Ballungsraum lebt, wird nicht mehr von den „Besseren“ profitieren – denn die gehen in das Gymnasium. Österreich ist übrigens mit Deutschland so ziemlich alleine, wenn es darum geht, nach vier Jahren Grundschule die Kinder zu verteilen. In der Schweiz geschieht dies nach der sechsten Schulstufe. Ein deutschsprachiges Problem, so scheint es.

 

 

In der Diskussion um die Gemeinsame Schule gibt es zwei Standpunkte zu überwinden:

 

Erstens:

Die rechtskonservative Reichshälfte (ÖVP, FPÖ) besteht auf der Trennung der Kinder nach der Volksschule. Minister Polaschek gegenüber dem Standard (23.1.22): "Durch ein differenziertes Schulsystem kann auf die individuellen Talente, Potenziale und Begabungen der Kinder eingegangen werden – und man kann sie gezielt fördern. Ich halte dieses System, das Kompetenzen in den Vordergrund stellt und Leistungen transparent macht, in seiner derzeitigen Form daher für sinnvoll." Er betont das Ziel "bestmögliche Förderung" und sieht in der individuellen Kompetenzmessung eine Maßnahme für "mehr Transparenz im Bildungssystem". Auch durch das mehrmalige Wiederholen und mantraartigem Herunterbeten: Es ist eine falsche Annahme, es stimmt so einfach nicht, Herr Minister!

Ohne besonders in die Tiefe zu gehen: Bildung in Österreich ist vererbt. Und dies in einem Ausmaß, das sogar eigene Untersuchungen des Ministeriumserschreckend finden (Nationaler Bildungsbericht 2021).

Wenn der türkis-schwarze Bildungssprecher Taschner etwas von „bunt und vielfältig“ (Standard, s.o.) daherredet, so kann dies nicht unwidersprochen bleiben.

Von den Grünen und Neos kommen zumindest Signale, sich für eine Gemeinsame Schule einzusetzen bzw. Sich zu interessieren. Wenn auch mit wenig Nachdruck. Bei den Grünen dürfte das Interesse an Schule insgesamt gerade eingeschlafen sein.

 

Zweitens:

Standesdünkel der Lehrer*innen. Eine Gemeinsame Schule bedeutet das Ende des Gymnasiums, bedeutet auch das Ende der Polytechnischen Schulen. Wir müssen darüber reden, was für die Kinder am Besten ist. Und nicht für die Lehrer*innen. Es gibt seitens der AHS/BMHS-Lehrer*innen in der OELI-UG das Bekenntnis zur Gemeinsamen Schule, aber eben „flächendeckend“ nur dort. Die roten Gewerkschafter*innen tun sich da schon schwerer, obwohl die Forderung nach einer Schule der 6 bis 14 Jährigen ein Fundament im Parteiprogramm ist.

 

Überraschenderweise gibt es auch unter den Kolleg*innen der APS Vorbehalte gegenüber der Gemeinsamen Schule, was wohl auch mit dem konservativen Wahlverhalten bei PV Wahlen (2019: 66 % wählten in OÖ den CLV) korreliert. Unverständlich, dass sich MS-Lehrkräfte gegen bessere Zustände in ihren Schulen aussprechen!

 

Als Lehrer an einer PTS, der das tatsächlich seit fast 25 Jahren gerne macht, bin ich einverstanden, die neunte Schulstufe in eine berufsorientierte für Alle zu machen. Gelungene Elemente des Polys (Schnupperpraktika, Kontaktpflege zu Institutionen und Firmen) können so mit Inhalten der schulischen Oberstufe verknüpft werden.

 

Ein kurzer Ausblick (und über den Tellerrand):

Die Ausgestaltung einer fairen Schule für Alle muss natürlich diskutiert werden. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir diese neue Schule inklusiv gestalten (diese findet ja nur an den APS statt, es gibt in ganz Österreich ungefähr 0 [i.W. NULL] oder 1,2 AHS-Klassen, die integrativ geführt werden). Keine Rede von „Einheitsbrei“, auch die Warnung, dass dann alle privilegierten Kinder in Privatschulen gehen würden, ist eine verkehrte Grundannahme. Der Staat müsste diese ja nicht so großzügig finanzieren. In Ländern, wo es eine Gemeinsame Schule gibt, fand kein Exodus zu den „Privaten“ statt. Finnland hat so gut wie keine Privatschulen, Dänemark und Nachbar Schweden schon. In Schweden wurden ab den späten 1990er sogenannte „Friskols“ eröffnet, private Schulen, die großzügig vom Staat finanziert wurden (über sogenannte Bildungschecks). Unsauber agierende Schulbetreiber sorgten für Empörung, es kam zu finanziellen Malversationen. Das Schulsystem insgesamt konnte durch die Öffnung Richtung Privatschulen nicht profitieren. Obwohl sich die Friskols noch immer großer Beliebtheit erfreuen (insbesondere im Oberstufenbereich) wird das System auf neue Füße gestellt und das öffentliche Schulwesen wieder in den Mittelpunkt gerückt.

 

Auch wenn es in den nordischen Ländern Privatschulen gibt, so ist deren Anteil mit rund 15 % kein übergroßer an der Gesamtanzahl. Es liegt in der Hand des Staates dafür zu sorgen, dass kein ökonomischer Wettbewerb auf Kosten der Kinder stattfindet.

 

Es gibt Gesprächsbedarf, in welche Richtung sich unsere Schule entwickelt. So wie dies momentan geschieht, kann das eigentlich niemanden zufrieden stellen. Nicht die Leistungsträger*innen, nicht die Eltern, nicht die Kinder, nicht die Lehrer*innen.

 

Es wird in letzter Zeit oft von Gräben der Gesellschaft gesprochen, die es zuzuschütten gilt. Gute Idee, vielleicht fangen wir einfach einmal damit an, nicht die Gräben bei den Jüngsten tiefer werden zu lassen. Gemeinsam den Weg gehen, das wäre doch schon einmal ein Anfang!

 

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