2020. Koste es, was es wolle.

Design: Viktor Ivanchenko
Design: Viktor Ivanchenko

Eine erste Rückschau.

 

Das Jahr 2020 wird viel Stoff für künftige Forschungsarbeiten auf medizinischem, geschichtlichem und soziologischem Feld bieten. Es war ein Jahr, das ab Ende Februar im Zeichen der Pandemie stand. Es war ein Jahr, in dem die Hilflosigkeit in vielen Bereichen sichtbar wurde. Es war das Jahr, in dem sich jahre- oder jahrzehntelange Versäumnisse gerächt hatten. Es war auch das Jahr, in dem manche Politiker eine pseudoreligiöse Präpotenz an den Tag legten und der offensichtlich etwas einfach gestrickten Bevölkerung Licht am Ende des Tunnels oder die Wiederauferstehung nach Ostern versprachen. Inklusive Heiligenerscheinung im engen österreichischen Tal, das eigentlich zu Deutschland gehört.

 

Der OE24-Chef Wolfgang Fellner wußte es schon im Jänner: da rollt etwas heran. Rund um die Uhr berichtete Österreichs übelster Sender mithilfe des „Partners“ CNN vom Chinavirus. Doch, so die Einschätzung damals: es handelt sich um einen regionalen Virus, der wird über Wuhan schon nicht hinausgehen.

 

Dann kam Ischgl, dann wurde in dem Skiort, ein Mahnmal alpiner Zerstörungswut, der Virus gezüchtet, gepflegt, verbreitet und nach ganz Europa exportiert. Island wies Anfang März darauf hin, aber leider las niemand das Email. Oder niemand im Bundeskanzleramt, dem Gesundheitsministerium oder der Landesregierung Tirol konnte ausreichend isländisch, um zu erkennen: Da ist doch nicht alles super gelaufen.

 

Alles richtig gemacht.

 

Ab Mitte März hatte das Virus Europa mit all seiner schrecklichen Folgen fest im Griff. Aus Italien wurden martialisch anmutende Bilder von Massentransporten in alle Welt gesendet. Die Zahlen der Infizierten stiegen stark an. Relativ rasch wurde hierzulande ein Lockdown veranlasst – Geschäfte zu, Gastronomie zu, Theater zu, Schule zu. Bis nach Ostern sollte dieser andauern.

 

In den Schulen hieß es: Distance Learning. Es wird doch jeder einen PC haben, so schwer ist das nicht. Jeder Standort probierte herum, mit unterschiedlichem Ergebnis und Erfolg. Angetan vom Distance Learning war wohl niemand – nicht die Eltern, nicht die Lehrer*innen und schon gar nicht die Schüler*innen.

 

Die Baumärkte öffneten, Theater noch nicht. Schulen auch nicht. Erst ab Mitte Mai erfolgte die Wiederaufnahme des Schulbetriebs. Jede Schule versuchte, einen eigenen Weg für eine sichere Schule zu finden.

 

Die Zahlen sanken tatsächlich beträchtlich, es schien, dass die Pandemie überwunden wäre. Der Kanzler sagte: Nun müssen wir die wirtschaftlichen Folgen bekämpfen, mit der Pandemie war es das. Koste es, was es wolle.

 

Aber halt: ein Landeshauptmann hielt den Virus für noch nicht vorbei und veranlasste eine Schließung von Schulen in fünf Bezirken des schönen Landes ob der Enns. Grund dafür: einige wenige Infektionen (Verursacher die „Freikirche“, eh klar). Dies geschah in einer dramatischen Pressekonferenz am Mittwoch in der vorletzten Schulwoche. Ab Freitag waren die Schulen wieder zu, es war eine Vorverlegung der Sommerferien.

 

Es kam in dieser Zeit auch zu schönen Szenen: so machte der Gewerkschaftschef der Lehrer*innen auch kurzerhand mal den Job des Ministers, in dem er eventuell verbliebene schulautonome Tage absagte. Ein schönes Beispiel selbstloser Zusammenarbeit.

 

Die Ferien. Macht Urlaub bei Freunden, liebe Österreicher und Österreicher.(1)

 

Der Kanzler schickte seine Tourismusministerin, eine Sprachkünstlerin ersten Ranges aus, um den Österreicher*innen klar zu machen: Urlaub wird heuer zuhause gemacht. Die Deutschen wollen die Kärntner Seen nicht unsicher machen, also muss der patriotische Heimat-liebende einspringen. Und man staunte: es funktionierte. Allerdings nicht flächendeckend, dank einiger renitenter Österreicher und Österreicher.

 

Der Kanzler hatte zwar Jahre zuvor die Balkanroute geschlossen, doch trotz seiner Bemühungen gelang es auch im Sommer 2020 tausenden Österreicher*innen, eine Lücke zu finden. Denn sie fuhren nach Kroatien und brachten hernach das Virus mit dem Auto in unser schönes Alpenland. Denn trotz der Tourismusministerin und ihrer Bitte, sich gefälligst an heimischen Gewässern schröpfen zu lassen, betätigten sich zehntausende Menschen (=vermeintliche Mörder!) daran, den Virus aus verschiedenen Ländern zu reimportieren. Und es kam, wie es kommen musste: der Virus klopfte an, begehrte Einlass und war gekommen, um zu bleiben.

 

Der Sommer brachte auch die Einführung der Sommerschule, eine geniale Idee. Den Dank der vielen entfallenen Mehrdienstleistungen im Frühjahr, konnte sie mit diesen Restbeständen finanziert werden. Und weil sich genug Lehrkräfte fanden, zwei Wochen ihrer Ferienzeit quasi ehrenamtlich zur Verfügung zu stellen. Einen Einblick gibt dieser Text, den wir auch in unserer Herbstzeitung abdruckten.

 

Ein Professor i.R. möchte etwas sagen

 

Die Pandemie war weitestgehend beendet, so schien es Ende Juni. Der Sommer verlief eher unauffällig. Einen Ausreißer hierzulande gab es im schönen Ort St. Wolfgang, als ein sogenannter Cluster aufpoppte. Doch das Infektionsgeschehen hatte man wieder schnell im Griff. Schuld waren die Jungen, die nur Partys feierten, mit all den schrecklichen Begleiterscheinungen, wie dem gegenseitig Abschlecken oder einem überbordenden Alkoholkonsum.

 

Der Gesundheitsminister twitterte erbost: Reißt euch zusammen, ihr Jungen! Machts mir meine Pandemiebekämpfung nicht kaputt.

 

Der Kanzler sagte Ende des Sommers: der Herbst wird noch schwierig. Der Gesundheitsminister präsentierte seine Ampel, die auf so wenig Gegenliebe stieß. Die Länder wollten sie nicht („wir orange? Sicher ned!!“), der Kanzler auch nicht. Der Bildungsminister baute zwischenzeitlich seine eigene.

 

Ein Professor in Rente, Erich Neuwirth, veröffentlichte ab dem Beginn der Pandemie Statistiken zur möglichen Entwicklung der Seuche. Schon im Sommer wies er darauf hin, dass sich Österreich in einem überdurchschnittlichen Zuwachs der Fälle befand. Ende August sprach er von einem exponentiellen Wachstum.(2)

 

Alleine: seine Tweets blieben da noch ziemlich unberücksichtigt. Denn der Kanzler erklärte die Pandemie für so ziemlich beendet. Und die sogenannten Experten (meist ja selbsternannt) braucht wirklich keiner.

 

Die Schulen sind sicher.

 

Werfen wir einen Blick auf die Situation in den Schulen. Das Frühjahr zeigte, dass das Distance Learning eher suboptimal gelaufen war. Es fehlte an Geräten, an Know-How, vor allem Kinder aus wenig begüterten Mehrkindhaushalten hatten es doppelt oder dreifach schwer.

 

Wir nahmen an, das Ministerium würde auf Hochtouren an einem Konzept einer zumindest vermeintlich sicheren, vielleicht sogar auch digitalen Schule arbeiten. Doch dem war nicht so. Auch das Ministerium dürfte sich Ferien gegönnt haben. Wohlverdiente. Im Maschinenraum der Macht (© der Falter) dürften sichere Schulen auch keine hohe Priorität gehabt haben.

 

Anfang bzw. Mitte September ging es in den Schulen mit dem stinknormalen Regelunterricht los, ungeachtet der Tatsache, dass die täglichen Fallzahlen rasch ziemlich stark stiegen. Bald waren Zahlen erreicht, die den Frühjahrespeak überragten. Aber die Schulen waren sicher. Infektionen mit vielen Beteiligten im Linzer Peuerbachgymnasium, der PTS Salzburg oder der MS Freistadt waren nämlich Ausnahmen. Der Gesundheitsminister sagte es deutlich: der Virus wird von außen in die Schulen getragen. Von den Lehrkräften, die sich gegenseitig (vor allem in OÖ) bei Garagenpartys ansteckten.

 

Interessant die Einigkeit aller Parteien in dieser Sache. PRW oder die Neoschefin wiederholten einmütig: die Schulen müssen offen bleiben, sie sind sicher. Der Bildungsminister hielt die Füße ruhig, keine zweite Welle in Sicht.

 

Die perfekte Welle. Surfin’ the Virus

 

Und doch war sie da. Wir wurden vom Virus überfallen, überrascht. Das sagte der Vizekanzler Mitte November in einer ORF-Sendung oder einer der mittlerweile hunderten Pressekonferenzen. Wer kann sich das Alles merken.

 

Und er hatte wohl Recht, wie wohl gesagt werden muss: Natürlich wurde alles richtig gemacht! Ein kleiner Rückblick zeigt dies deutlich auf:

 

montag, 23.11.: aus china wird vermeldet, dass es einen komischen virus gibt.

dienstag, 24.11.: erster fall in europa, bildungsministerium schafft 100.000 ffp2 masken und 5.000 laptops an.

mittwoch, 25.11.: der unterricht wird als elearning geführt, die plattform eduvidual ist längst mit allen ressourcen ausgestattet.

donnerstag, 26.11.: bisher gibt es 0 infektionen bei lehrerInnen und schülerInnen!

freitag, 27.11.: den virus hat man im griff, trotzdem wurden 5000 seminarräume im ganzen land und 12.000 neulehrerInnen eingestellt, es wird ab dem 7.12. kleingruppenunterricht stattfinden. fassmann ist -zu recht- zufrieden.

 

Zurück in die raue Welt der Realität: Es ist nämlich leider nichts an den Schulen passiert. Ab dem ersten schulischen Lockdown Mitte März wurde vor allem eines im Bildungsministerium betrieben: Realitätsverweigerung. Die Liste der Versäumnisse von A wie sicherer Arbeitsplatz bis Z wie gestaffelte SchulbeginnsZeiten ist lange.

 

Der Bildungsminister hatte auch ein Problem mit dem Umgang der Wahrheit. Er sprach von ausreichend FFP2-Masken, die es an den Schulen jedoch nicht gab. Er versprach Endgeräte für Schüler*innen, die keine hatten. Die gab es trotzdem nicht. Die Lernplattform eduvidual wurde Anfang November beauftragt, ihre Ressourcen auszubauen. Zu Beginn des „weichen“ Lockdowns. Rechtzeitig, alles richtig gemacht. Der Bundeskanzler fand es bedeutender, zu überhöhten Preisen Testkits für einmalige Massentests einzukaufen. 67 Millionen Euro für eigentlich nichts wurden da gach einmal ausgegeben.

 

Wird scho werdn….

 

Jetzt befinden wir uns Ende November, noch ist unklar, wie der Lockdown beendet werden wird. Und ob. Ein Hoffnungsschimmer ist, dass der Nikolaus kommen darf und es bald einen Impfstoff geben wird. Auch verspricht uns der Kanzler ein Weihnachten fast wie früher. Ein bißchen brav bleiben müssen wir noch, dann wird das schon. Und dann hoffen wir, dass uns die nächsten 100 Jahre nicht wieder so eine Pandemie rücksichtslos überfällt. Und so gach.

 

Es ist ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Oder ist es nur der Gegenverkehr?

 

Timo Brunnbauer, 29.11.2020

 

1Frei nach dem Innenminister und seiner Flex

2Exponentielles Wachstum (bzw. exponentieller Zerfall) beschreibt Änderungsprozesse, bei denen sich ein Wert in gleichen (zeitlichen) Abständen immer um denselben Faktor ändert. Exponentielles Wachstum kann mit folgender Funktionsgleichung beschrieben werden: N(t)=N0⋅at. Quelle: https://de.serlo.org/mathe/funktionen/anwendungszusammenhaenge-anderes/wachstums-zerfallsprozesse/exponentielles-wachstum 

 

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