Inklusion als Modell für Alle!

Renate Brunnbauer im Gespräch mit Ewald Feyerer,

Leiter des Bundeszentrums für Inklusive Bildung und Sonderpädagogik an der PH OÖ

 

 

Die unabhängigen LehrerInnen setzen sich seit vielen Jahren für mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem ein. Wir sind dabei permanent auf der Suche nach unserer aktuellen Antwort auf die Frage WIE. Auf diesem Weg beschäftigen wir uns einerseits mit dem was innerhalb des bestehenden Systems machbar ist, aber auch mit großen strukturellen Änderungen, etwa mit der Forderung nach einer gemeinsamen Schule.

So bin ich Teilnehmerin der Internationalen Jahrestagung für InklusionsforscherInnen 2017 geworden. Ich war überrascht, dass schon beim Einführungsvortrag so provokativ formuliert wurde. Professor Feuser hat gleich zu Beginn betont wie bedeutsam die Abkehr von dem im deutschsprachigen Raum praktizierten segregierenden Schulsystemen sei.

 

Georg Feuser ist ein Vertreter seiner Theorie. Natürlich. Und er ist einer der Menschen, die in den 1980er und 90er Jahren die Integration von behinderten Menschen theoretisch am ausführlichsten begründet haben. Im Sinne seiner Idee hat er Integration damals ja schon als Inklusion gedacht und darum ist er jemand, der ganz stark betont, dass man den Inklusionsbegriff nicht braucht, weil er findet, dass in der politischen Wirklichkeit mit dem Begriff Inklusion Schindluder betrieben wird. Der Begriff wird so allgemein gebraucht, dass er die Zielrichtung verliert.

 

Um es kurz zu fassen: Es besteht die Gefahr, dass die Inklusion in ein segregierendes Schulsystem integriert wird. Das bringt die Wirklichkeit auf dem Punkt. Ich verwende trotzdem den Begriff Inklusion und zwar aus verschiedenen Gründen. Damals bei der Integrationsdebatte ist einfach von behinderten und nichtbehinderten Kindern gesprochen worden. Die Integrationsdebatte war fokussiert auf den Bereich Behinderung. Inklusion ist der Zugang, der die gesamte Vielfalt betont. Integration bedeutet, etwas wieder zu vereinen, das vorher getrennt war. Inklusion meint, die Trennung von vorneherein zu verhindern.

 

Wir haben einen Kollegen, der an der NMS bisher wenig mit Behinderten zu tun gehabt hat. Er sagt, dass es für ihn schon Inklusion ist, wenn der Bauernbub neben dem Doktorsohn sitzt. Es geht eben auch um die Vielfalt der Gesellschaft, ein Aspekt, der bei der Integrationsdebatte zu kurz gekommen ist. Was ist mit Kindern, die nicht behindert sind, aber aus sozialschwachen, bildungsfernen Milieus kommen, wo keine Unterstützung da ist?

 

Eine Pädagogik für alle Kinder?

 

Feuser spricht von Allgemeiner Pädagogik.

Und tatsächlich braucht es keine sonderpädagogische Didaktik, was es braucht ist eine entwicklungspädagogische Didaktik. So, dass alle Kinder in Kooperation an dem gemeinsamen Gegenstand lernen können aber nach unterschiedlichen Zielen. Dafür brauchst du in der Schule eine stärkere Projektorientiertheit, Wochenplan, offenes Lernen, Freiarbeit, um dann bei den gebundenen Phasen nach Entwicklungszielen zu differenzieren.

 

Das setzt voraus, dass LehrerInnen sich für eine solche Didaktik interessieren. Man muss die Methoden kennen und bisweilen Kompetenzen erwerben, um differenzieren zu können. Das setzt bestimmte persönliche Haltungen voraus. Sind hier aus deiner Sicht Hindernisse wahrnehmbar? Wie steht es um die Bereitschaft der LehrerInnen, sich für Inklusion stark zu machen?

 

Wir haben das untersucht. Wir haben Abgänger unserer Hochschule befragt. Da haben wir uns die Haltungen angesehen und sind darauf gekommen, dass die Haltungen zur Inklusion durchaus positiv sind. Gemessen mit diesem international verwendeten Instrument haben wir Werte wie Australien oder Kanada, was die Einstellung zum inklusiven Unterricht betrifft.

Wir haben Absolventen befragt und Lehrerinnen nach 2 Jahren Berufserfahrung. Die Ergebnisse waren gleich gut.

 

Spannend erscheint mir dennoch die Frage: Wie kann man Haltungen verändern?

 

Da hat sich für uns herausgestellt, es geht hauptsächlich durch vermitteln von Gelingensbildern. Man muss den KollegInnen zeigen, dass es funktioniert, dass es geht. Die Ängste sind unbegründet. Wenn man bereit ist, sich zu verändern dann geht das auch ganz gut.

Eine ähnliche Erfahrung haben wir damals bei der Einführung des integrativen Unterrichts schon gemacht. Es hat kaum jemand völlig ablehnend reagiert. Aber viele haben gesagt: „Gebt uns das Werkzeug dafür in die Hand, dann sind wir bereit.“ Wir konnten nur sagen: „Das Werkzeug gibt es nicht, ihr müsst euch in die und die Richtung entwickeln, euch das Werkzeug selbst erarbeiten.“

 

Wie stehen die SonderpädagogInnen der Inklusion gegenüber? Was ist deine Einschätzung?

 

Nehmen wir die Abschaffung der SonderschullehrerInnenausbildung – da fühlen sich viele SonderpädagogInnen angegriffen. Das Problem dabei ist, dass – wenn man einen Systemwandel initiieren will – das bisherige oft negativ dargestellt wird. Damit greift man die Sonderschulen, die Sonderschulausbildung an. Und natürlich: wenn es keine Sonderschulausbildung mehr gibt, fällt die Identität der SonderschullehrerInnen auf einmal ins Bodenlose. Diese neue Identität muss sich halt erst entwickeln.

 

Wie beurteilst du Förderklassen? Es gibt sie ja auch bisweilen im Rahmen von Regelschulen. Empfindest du solche Lösungen als ausgrenzend?

 

Es müssen flexible Lösungen an den Schulen gefunden werden. Es gibt Kinder, die aus einer Situation kommen, die ihnen gar keine andere Möglichkeit geben, als ein Verhalten an den Tag zu legen, das nur schwer auszuhalten ist, zum Teil gar nicht auszuhalten ist. Natürlich muss ich dann auch an die anderen Kinder denken und denen, die das brauchen, Rückzugsorte ermöglichen. In Kärnten wird das gemacht. Sie nennen es Timeoutklassen – leider Gottes. Sie sind aber nicht so gemeint. Sie lösen Sonderschulen auf, nehmen die therapeutische Unterstützung in die Regelschulen rein.

 

Wie werden die Ressourcen lukriert?

 

Da stellt sich immer die Frage der Höchstschülerzahl – die hängt für mich eigentlich vom Raum ab. Aus den aktuellen Klassengrößen hat sich bei dieser Schülerzahl von 20 bis 24 gezeigt, dass diese Größe von den Kollegen signifikant am positivsten bewertet worden ist.

So positiv das von vielen LehrerInnen aufgenommen worden ist, die 25er-Grenze bedeutet auch – das muss bedacht werden – dass dies viele Ressourcen kostet. Man hat dann kleine Klassen mit 13 oder 15 SchülerInnen. Das bindet natürlich viele Ressourcen. Diese Ressourcen fehlen dann, wenn man spezielle Angebote machen will. Da könnte ich mir schon mit einer Autonomiereglung einen neuen Zugang vorstellen. Dass die Schule zwar die Ressourcen für 25 kriegt, dann aber flexibel entscheiden kann, was damit gemacht wird.

 

Würdest du von den Ressourcenzuteilungen durch SPF-Bescheide weggehen?

 

Angedacht ist in den inklusiven Modellregionen ein Mischsystem. Derzeit steigt die Anzahl der Kinder mit SPF ständig. Und die steigt deshalb, weil immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund, oder aus sozial schwierigen Verhältnissen nach dem ASO-Lehrplan unterrichtet werden, damit sie keinen 5er bekommen. Aber die Ressourcen sind ja ohnehin mit 2,7 % gedeckelt. Da wäre es doch besser zu überlegen, wie man für diese Kinder Unterstützungsmaßnahmen kreieren kann, ohne dass ein SPF beantragt wird. Da wäre es sinnvoll nach sozialen Kennwerten, wie es beim Sozialindex ja passiert, zusätzliche Ressourcen in solche Schulen hineinzubringen.

 

Prof. Bacher von der JKU spricht auch davon, dass es einen gewissen Spielraum für sozialindizierte Ressourcenzuweisung gibt. Dass ein bestimmtes Maß an derartiger Umverteilung möglich ist, ohne dass man andere Standorte in eine prekäre Lage bringt. Ist es das, was du meinst?

 

Das ist ein politisch heißes Eisen. Da würden Schulen aufschreien: Uns wird was weggenommen

Man sollte dennoch das Gesamtbild betrachten. Die sonderpädagogischen Ressourcen sind mit 2,7 % gedeckelt. Wenn man das mit dem Prozentsatz vergleicht, der nach dem nationalen Bildungsbericht gebraucht würde, dann stößt man auf 4%. Das ist eine erhebliche Differenz. Wenn man die Gesamtsumme anschaut, dann ist es es so, dass 12-13% der für Schule verwendeten Ressourcen in die Sonderpädagogik gehen.

 

Was ist nach der 9. Schulstufe?

 

Es zeigt sich, dass es immer schwieriger wird, für Kinder mit Behinderungen eine Genehmigung für ein 11. oder 12. Schuljahr zu erhalten, bisweilen ist sogar schon das 10. problematisch. Sonderpädagogik muss es auch in der Sekundarstufe 2 geben. Es kann nicht sein, dass die Kinder, die länger für eine Basisqualifikation brauchen, die Schule als erste verlassen müssen.

 

Du hast von Schulentwicklungsbegleitung gesprochen. Ich habe im Rahmen der Tagung erfahren, wie in der inklusiven Modellregion in der Steiermark vorgegangen wird. Dort organisiert man so eine Art erweiterte LeiterInnenfortbildung. Schulleitung, Qualitätsverantwortliche und Inklusionsbeauftragte von den Schulen werden zu Fortbildungen zusammengeholt.

 

Find ich gar nicht so schlecht. Die Steiermark hat sich meiner Einschätzung nach einen sehr guten Weg überlegt, wie die Entwicklung auch von der Hochschule begleitet wird. Es werden Multiplikatoren ausgebildet. Ganz bewusst wird Schulqualitätsarbeit und Inklusion zusammengespannt. Da wir also einerseits auf der ReferentInnenseite vernetzt, und andererseits die TeilnehmerInnen untereinander. In der Steiermark gibt es jetzt schon nur mehr 0,6 Prozent Segregation – die sind eh schon sehr weit. Die sind nicht mehr in der Desegretation. Da geht es jetzt schon um Struktur und Qualitätsänderung an der Regelschule. In OÖ sind wir da noch lange nicht. Beim LSR OÖ kümmert sich niemand darum, dass da etwas weitergeht.

 

aus der Frühwarnung 1-2017

 

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